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11 Tage entführt: Wenn Reisen zum Risiko wird

13.08.19 07:08 • Bettina Enser

Michael Wurche – Reisen und sein Risiko. Vom Opfer einer Entführung zum Experten für Risikomanagement. Über seine unglaubliche Geschichte und zum Thema Risikomanagement haben wir mit ihm gesprochen.

11 Tage entführt: Wenn Reisen zum Risiko wird

__Michael Wurche – Reisen und sein Risiko. Vom Opfer einer Entführung zum Experten für Risikomanagement. Über seine unglaubliche Geschichte und zum Thema Risikomanagement haben wir mit ihm gesprochen. __

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Wenn fehlendes Risikomanagement zu einer unglaublichen Lebensgeschichte führt

Michael Wurche ist heute pensionierter Auslandsmanager der Lufthansa und noch immer Berater rund um Reisesicherheit und Risikomanagement. Seine berufliche Laufbahn enthält einige Stationen. Nach seiner Ausbildung in Frankfurt, Lima und Mexico Stadt startete er als „Kombinierer“, das heißt Verkaufs- und Marketingleiter für Passage und Fracht sowie Stationsleiter in Merida/Yukatan, danach in Sofia und La Paz. Es folgten Stuttgart und Barcelona, anschließend wurde er Regionaldirektor für Passage in Kairo für Nordost-Afrika/Jemen. Bis zu seiner Pensionierung 2005 war er dann Managing Director West-Afrika in Lagos/Nigeria.

Eine Tätigkeit, die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Im damals bankrotten Bolivien ohne Devisenvorräte wollten die Entführer den ausländischen Manager einer reichen Firma als Druckmittel nutzen. Es sollte eine Firma sein, von der sie Hartgeld fordern konnten. Dem Thema Risikomanagement damals nicht so sensibel gegenüberstehend, wurden Zeitungsartikel und Veranstaltungsfotos von Wurche veröffentlicht, er war als Verkaufs- und Marketingleiter naturgemäß sehr medienpräsent. Die Aufmerksamkeit der Entführer war eine Folge seiner berufsbedingten Pressearbeit.

Wie konnte das Thema „sicher reisen“ und Risikomanagement so vernachlässigt werden? Wir haken beim Experten für Reisesicherheit und Risikomanagement nach:

Herr Wurche, bringen wir zunächst etwas Klarheit ins Begriffe-Chaos: Inwiefern gehen Krisenmanagement, Risikomanagement und Reisesicherheit miteinander einher?

Absolute Reisesicherheit gibt es nicht, sie kann aber wesentlich erhöht werden durch Risikomanagement mit der Betonung auf Prävention und dann im Fall des Falles durch professionelles Krisenmanagement.

Für all das gibt es kompetente Dienstleister, die durch ihre Beratung die Reisesicherheit der Mitarbeiter verbessern. Nach Entführungen treffen sie dann die richtigen Maßnahmen zur Freilassung des Opfers aber auch zu seiner anschließenden Betreuung und der seiner Familie. Letzteres fehlte in meinem Fall völlig. Ich erhielt weder eine medizinische noch eine psychologische Betreuung.

Hatten Sie als damaliger Auslandsmanager und jahrelang im Ausland lebender Angestellter überhaupt gewusst, wie man sich im Entführungsfall verhalten sollte und wie man sicher reisen kann?

Nein. Ich war weder vorbereitet noch über die Entführungsgefahr informiert worden und nicht einmal darüber, dass einer meiner Vorgänger wegen Entführungsdrohungen wochenlang unter Polizeischutz lebte. Man fürchtete wohl, dass ich den Posten hätte ablehnen können.

Für meine lateinamerikanischen Kollegen organisierte die Lufthansa allerdings nach meiner Entführung eine Schulung durch das Bundeskriminalamt (BKA) zur Vermeidung von Entführungen - Eine typische Reaktion von Firmen nach derlei Vorfällen.

Heute sind Sie als Sicherheitsberater für sicheres Reisen und Risikomanagement tätig – wie sehr helfen Ihnen Ihre Erfahrungen bei der Beratung?

Meine Seminare und Vorträge werden als realistisch und glaubhaft beurteilt, weil ich nach so vielen Jahren in sicherheitskritischen Ländern und nach etlichen gefährlichen Situationen wie Überfälle, Terroranschläge, Revolutionen und Erdbeben überzeugend und anhand von praktischen Beispielen argumentieren kann. Zudem illustriere ich die Schulungen sehr anschaulich, unter anderem mit vielen Videos. Vor allem aber rede ich eben als erfahrener Praktiker und nicht als „Sicherheits-Eunuch“, der nur in Theorie alles über die Liebe bzw. über das Thema Reisesicherheit und Risikomanagement weiß.

Solange es Nachfrage für meine Seminare und Vorträge gibt, die ich auf Deutsch, Englisch und Spanisch halte, werde ich das auch weiter verfolgen. Das Weitergeben meiner Erfahrungen wurde mein Hobby und meine Mission.

Ca. 80 % meiner Beratungstätigkeit erfolgt im beruflichen Bereich, ich arbeite beispielsweise für eine deutsche und eine ägyptische Sicherheitsfirma, für die Kairoer EU-Delegation und die Deutsch-Arabische Handelskammer. Ca. 20 % meiner Beratungen erfolgen aber auch auf privater Ebene.

Nun hat nicht jeder Ihre Erfahrung, solche Vorfälle hautnah zu erleben. Was macht einen guten Berater in Sachen Reisesicherheit aus?

Meines Erachtens sind praktische und idealerweise langjährige Auslandserfahrung von Nutzen. Hier sind ehemalige Polizisten und Mitglieder von Spezialeinheiten wie GSG 9 und KSK am besten, vorausgesetzt sie sind zudem talentierte und gut ausgebildete Trainer, Coaches und Kommunikatoren.

Welche Fehler werden von Unternehmen am häufigsten begangen?

Oft reagieren Firmen und internationale Institutionen erst nach reisesicherheits-kritischen Vorfällen und haben in vielen Fällen weder ein präventives Sicherheits- und Risikomanagement, noch Krisenpläne.

Dienstreisende und versetzte Mitarbeiter werden viel zu selten fachkundig ausgebildet, um vor allem Gefahren zu vermeiden und zu erkennen. Nur wenn sie in praktischen Schulungen programmiert wurden, können sie in kritischen Situationen sofort richtig reagieren anstatt zu erstarren oder in Panik zu verfallen. Durch Training können Tragödien für Mitarbeiter und ihre Familien sowie hohe Kosten für die Firma vermieden werden. Auch meine bolivianische Entführung war vermeidbar.

Wie sicher fühlen Sie sich heute?

Ich bin heute sicherheitsbewusster als früher, ohne deshalb paranoid zu sein, und ich wurde vorsichtiger, vor allem aber aufmerksamer als vor der Entführung.

Wenn ich mich nicht sicher fühlte, wäre ich nach meiner Freilassung 1983 in Deutschland geblieben. Danach war ich von 1992-99 für Länder wie Ägypten, Sudan, Eritrea, Äthiopien und Jemen zuständig und ließ mich 1999 nach Nigeria versetzen, wo ich für 20 z.T. sicherheitskritische westafrikanische Länder verantwortlich war, die ich zu einem großen Teil bereiste. Das alles hätte ich mit einem Entführungstrauma kaum tun können.

Jetzt lebe ich seit 21 Jahren in Ägypten, habe die Revolution von 2011 hautnah erlebt, auch auf dem Tahrir Platz, an dem eins meiner Büros liegt.

Wie sicher sollten sich Reisende heutzutage fühlen?

Das kommt ganz auf das besuchte Land an, wobei man auch in vermeintlich sicheren Ländern Gewaltopfer werden kann.

Ich rate zu einer guten Reisevorbereitung mit Kranken- und Rückholversicherung, das Einholen von Informationen und Kontaktadressen im Besuchsland. Für sicherheitskritische Länder empfehle ich den Vertragsabschluss mit einem internationalen Reisesicherheits-Dienstleister, der im akuten Notfall Kranke und Verletzte mit Ambulanzflugzeugen heimfliegen kann. Das rettete 2012 meinen in Nigeria schwer erkrankten jüngeren Sohn, der in der Uniklinik Frankfurt geheilt wurde.

Für optimale und aktuelle Länderinformationen kann man den Newsletter des Deutschen Auswärtigen Amtes (AA), abonnieren. Dessen App „Sicher Reisen“ oder auf Twitter @AA-SicherReisen konsultieren, und sich über die Deutsche Botschaft des zu besuchenden Landes und die dortige Deutsche Handelskammer informieren. So erfährt man auch alles über Gesundheitsrisiken und Vorsorgemaßnahmen wie Impfungen,- die fehlen vielen Reisenden ganz oder müssten dringend aufgefrischt werden.

Und dann sollte man die Reise genießen, ohne leichtsinnig zu agieren ohne durch Verhalten, Kleidung und Schmuck aufzufallen und damit zu einem ganz offensichtlich lohnenden Ziel zu werden.

Sie haben 2011 die ägyptische Revolution miterlebt, wie ist die Sicherheitslage in Ägypten heute und was reizt sie weiterhin in Kairo zu leben?

Ich fühle mich in Kairo sicher, würde aber den Sinai außerhalb der bewachten Touristenhochburgen vermeiden. Nilkreuzfahrten, bisher machte ich sechs, sind immer noch ein sicheres und wunderschönes Vergnügen.

Was mich an Kairo reizt? Nun, jeden Tag Sonnenschein für Tennis, Golf und Schwimmen,- unfassbar niedrige Lebenshaltungskosten, freundliche Menschen, nur 4 Flugstunden zum Einkaufen nach Deutschland, keine Zeitverschiebung zum deutschen Fernsehen per Satellit,- und natürlich meine deutsch-ägyptische Frau, die alle Sprach- und Bürokratiehemmnisse beseitigt,- hier gehe ich nicht mehr freiwillig weg!

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Was tun Sie persönlich dafür, um sich beim Reisen sicher zu fühlen?

Ich informiere mich über die Quellen des Auswärtigen Amts über die Sicherheitslage und über Risiken. Vor allem bemühe ich mich, nicht als lohnendes Opfer zu erscheinen, was Kleidung, Uhr, Kamera und Gepäck anbelangt, also möglichst unauffällig aufzutreten. Frequent Traveller- und Senator-Kofferanhänger sowie Firmenaufkleber kennzeichnen lohnende Zielpersonen.

Und ich bin aufmerksam für meine Umgebung und die Menschen. Wenn man sichtbar wachsam erscheint, energisch auftritt und möglichen Gegnern entschlossen ins Auge schaut, suchen die sich lieber ein leichteres Ziel.

Haben Sie sich vor der Entführung beim Reisen sicher gefühlt?

Generell ja, bis auf die Momente erhöhter Gefahr, wie bei etlichen Erdbeben und einem gefährlichen Aufruhr in Lima 1975, wo Polizei und Militär in der Stadt gegeneinander kämpften.

Damals blieb ich drei Tage lang im Hotel, bis ich einen Taxifahrer fand, der mich auf Schleichwegen nachts zum Flughafen fuhr. Und bei einer Notlandung der Panam 1976, in Kapstadt hatte ich natürlich auch Angst. Sonst reiste ich aber unbekümmert und ohne besondere Vorsichtsmaßnahmen.

Sind ägyptische Unternehmen allein wegen der Sicherheitslage besser in Sachen Risikomanagement aufgestellt?

Nein, sicher nicht, denn hier heisst es oft „Inshallah“ = „wird hoffentlich gut gehen“ und „es ist alles vorbestimmt.“ Selbst in renommierten Firmen gibt es die Einstellung „Maalesh“, was viele Bedeutungen hat wie : „wird schon gut gehen“, „Pech gehabt“, „macht nichts“, „sorry“ und „nicht so schlimm.“ Ausländische Firmen in Ägypten, so auch deutsche Firmen und Botschaften, beschäftigen allerdings Sicherheitsfirmen zum Schutz ihrer Büros und Mitarbeiter. Für eine dieser Firmen mit europäischem Management habe ich lange gearbeitet.

Die Sicherheitslage ist in Ägypten generell gut, bis auf gelegentliche Attentate, zumeist gegen solche Sicherheitskräfte und gegen Kopten. Eine schlimme Ausnahme war das entsetzliche Attentat vom 5.8. vor einem Krankenhaus in Kairo. In Ägypten gibt es sonst nur wenig Alltags-Kriminalität – Mir ist in 21 Jahren hier nie etwas zugestoßen. Touristengruppen und Touristenbusse würde ich allerdings meiden, wie auch die Region des Sinai. Das gilt auch für Fahrten zum Katharinen-Kloster, bis auf die besonders geschützten Touristen-Hochburgen wie Sharm El Sheikh.

Ich fühle mich in Ägypten und bei allen meinen Reisen sicher, reise immer noch oft, gern und angstfrei. Hierzu zitiere ich gern den ägyptischen Literatur-Nobelpreisträger Naguib Mahfouz: „Angst verhindert nicht den Tod. Sie verhindert das Leben.“

Lesen Sie Wurches Tipps zum Thema „sicher reisen“ und Risikomanagement auch im Blog von Gerhard Link.

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Bettina Enser

Bettina Enser studierte Medienwissenschaften an der Universität Tübingen und unterstützt seit 2017 die SECmarket GmbH im Bereich Content und Social Media. Auch nebenbei ist das Schreiben Ihre Leidenschaft, unter anderem für verschiedene Verlage.